Handlungsfähig bleiben in einer komplexen Welt

Freiheit der Wahl oder Entscheiden können?

Was ist das überhaupt: Handlungsfähigkeit? Ist das dasselbe wie Freiheit der Wahl oder Entscheiden können in der Vielfalt der Möglichkeiten? Dabei darf der oft gebrauchte Nachsatz nicht vergessen werden: So zu wählen, zu entscheiden und zu tun, dass es für mich stimmt, zu mir passt, mir selbst entspricht. Wenn das Handlungsfähigkeit bedeutet, dann braucht das irgendeinen Bezugspunkt oder Horizont. Was könnte das sein? Die Menge der Möglichkeiten?

Da stellt sich eine weitere Frage: Sind wir in den beschleunigten Prozessen noch dieselben geblieben, bzw. lässt sich überhaupt noch sprechen von einem Selbst, auf das wir uns durch Nachdenken und Gespür beziehen können? Oder gilt eher wie Wolf Biermann gesungen hat: „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort, hab mich nie deswegen beschwert“? Könnte es sein, dass unser Selbst nur aus Fragen besteht wie: Was will ich? Was tut mir gut? Wie erreiche ich dies oder das möglichst schnell und billig?

Es gibt Typen von Persönlichkeiten, die dem bis hier angetönten Fatalismus klar widersprechen. Für sie ist die Welt eine Ansammlung von Fakten, die es nur klug zu analysieren und zu gewichten gilt und schon ist die Wahl, die Entscheidung, die Tat kein Problem mehr. Diese Persönlichkeits-Typen haben kein Problem mit der Frage nach Orientierung und schon gar nicht mit der nach Selbst oder Identität. Ihnen fällt es leicht, sich als das Bit zu verhalten, als welches sie im globalen System gefragt sind.

Bedeutet das also, dass die ganze Frage nach Handlungsfähigkeit und Orientierung an einem Selbst nur ein Luxusproblem von gefühlsorientierten Menschen ist? Die Szenen aus Sciencefiction-Filmen oder -Büchern zeigen ja genau diese Spaltung: Graue Massen, die funktionieren und ein paar wenige, die plötzlich oder lang im Untergrund noch die Fahne hochhalten für eine menschliche Identität, eine Orientierung an der Unverwechselbarkeit eines jeden Lebewesens und den Glauben an einen Sinn, der mit dem, was Selbst genannt wird, in Resonanz steht.

Um über Handlungsfähigkeit zu sprechen, muss man vorweg drei Grundfragen klar und eindeutig beantworten:

  • Ist diese Welt Zufall oder Schöpfung?
  • Gibt es nach dem Tod noch etwas oder ist da alles fertig?
  • Worauf kommt es zwischen Geburt und Tod wesentlich an?

Die letzte Frage ist dabei deutlich abhängig von der Beantwortung der beiden ersten.

Es ist nicht zulässig, Kompromisse zu machen in den Antworten. Also etwa zu sagen: Die Welt ist ein Zufallsprodukt, aber irgendwo gibt es eine höhere Macht, die das veranlasst hat und zu Ende führen wird. Oder: Nach dem Tod ist nichts mehr, aber eine Wiedergeburt meiner Energie ist doch möglich.

Solche Antwortversuche sind in sich nicht konsistent und auf Dauer nicht durchzuhalten. Fallen die Antworten klar in Richtung Zufall und nichts mehr aus, dann ist das Typenmodell des „Bit“, wie oben skizziert, das folgerichtigste. Und die Einstellung von Biermann durchaus passend. Die Diskussion von Handlungsfähigkeit kann dann reduziert werden auf die Frage nach Fakten und möglichst optimalen kausalen Zusammenhängen.

Identität eines Menschen ist dann ebenso folgerichtig eine Abfolge von Zuständen, in der einer sich vorgefunden hat. Eine Art Bildersammlung also, die vor allem hinsichtlich des Gelingens von Anpassungsleistungen verglichen werden kann. Den einen gelang es besser, den anderen schlechter – fertig. Darin liegt die ganze Handlungsfähigkeit.

Werden die obigen Fragen jedoch beantwortet mit der Annahme von Sinn seit Anfang und über das Ende hinaus, hat das beachtliche Konsequenzen für die Fähigkeit zu Handeln. Zu den Fakten kommt das Element des Sinns hinzu. Das kann verstanden werden als verborgene und stetig neu zu entdeckende und zu achtende Ordnung oder Entwicklungsrichtung des Lebens als sinnhaftem Gefüge. Entsprechend stellt sich den daran beteiligten Individuen bei jeder Entscheidung und Tat die Frage nach der Resonanz mit diesem Gefüge. Ja mehr noch: Es stellen sich auch die Fragen nach der eigenen Spur, dem eigenen Beitragen zum Sinnzusammenhang und nach dem letztgültigen Orientierungspunkt für die je aktuell notwendigen resonanten Handlungen in Gedanken, Worten und Taten.

Zurück zur Blog-Übersicht